Überzeugender Test: Precise Positioning schlägt GPS

02.01.2024 by Ümit Günes

Auto-Cockpit mit Navi, Heckkamera und Laptop bei Tunneldurchfahrt


 

GPS ist für die Navigation unerlässlich. Für das autonome Fahren jedoch braucht es zukünftig ein deutlich präziseres System. Die Telekom-Lösung Precise Positioning hat im Live-Test voll überzeugt.

2.183 Kilometer haben unsere Experten Pascal und Alexander im Spätsommer auf ihrer Tour quer durch Europa zurückgelegt, um unser Precise-Positioning-System (siehe Infobox) im Live-Betrieb auf Herz und Nieren zu testen. Von Hannover bis Barcelona, über Berge und Brücken, durch Tunnel und Großstädte sollte sich zeigen, ob die Kombination aus Satellitennavigation, Mobilfunk und Cloud ein Fahrzeug präziser lokalisieren kann als das herkömmliche GPS (Reiseblog hier zum nachlesen). Stolze 24 Terabyte an Messdaten kamen dabei zusammen, die anschließend von verschiedenen Abteilungen in den vergangenen drei Monaten ausgewertet wurden. Wie versprochen folgt hier nun unser Bericht.

Wie Precise Positioning funktioniert

Die Lösung Precise Positioning ermöglicht, wie der Name schon sagt, eine extrem präzise Bestimmung der Position von Fahrzeugen – oder auch von Drohnen und Robotern, E-Scootern und Rasenmähern, Paletten und Containern etc. Bei herkömmlicher Navigation über die GNSS-Satellitennavigation (Global Navigation Satellite System; dazu gehört der US-Dienst GPS (Global Positioning System) ebenso wie das europäische Galileo) kann die Ungenauigkeit allerdings mehrere Meter betragen. Abweichungen können zum Beispiel

  • durch die Atmosphäre entstehen, die die Laufzeit der Satellitensignale beeinflusst,
  • durch eine ungünstige Verteilung der Satelliten
  • oder auch durch Abstrahlungen von hohen Gebäuden oder Bergen.


Mit Precise Positioning funktioniert die Lokalisierung dagegen bis auf zwei Zentimeter genau. Dafür misst ein flächendeckendes Netzwerk aus Telekom-Referenzstationen (Continuously Operating Reference Stations, CORS) auf mehreren Kontinenten die Abweichungen der Satellitensignale. Die Positionierungs-Engine Starling des Telekom-Partners Swift Navigation berechnet auf Basis dieser gesammelten Messwerte sowie der exakten stationären Geodaten der Antennen hochpräzise Positionsdaten. Starling nutzt dabei GNSS und die sogenannte Koppelnavigation (Dead Reckoning), um die absolute Position, Geschwindigkeit und Zeit zu bestimmen, die den ASIL-B-Sicherheitsstandards (Automotive Safety Integrity Level) entspricht. Der cloudbasierte Swift-Dienst Skylark sendet die korrigierten Positionsdaten anschließend via Telekom-Mobilfunk zum Fahrzeug.


 

Warum die Automobilbranche auf Präzision angewiesen ist

Die Automobilindustrie hat in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte bei Fahrerassistenzsystemen gemacht. Funktionen wie der Spurhalteassistent und die automatische Notbremsung erhöhen heute die Sicherheit von Fahrzeugen im Straßenverkehr. Frühe ADAS-Funktionen (Advanced Driver Assistance System) stützten sich stark auf wahrnehmungsbasierte Sensoren – wie zum Beispiel Ultraschall und Kameras als Einparkhilfe – sowie relative Positionierung, um Sicherheitsrisiken zu erkennen. Inzwischen ist auch die absolute Positionierung durch GNSS-Satellitennavigation in intelligente Verkehrssysteme integriert, um die Wirksamkeit dieser Funktionen zu verbessern und neue Anwendungsfälle zu ermöglichen.

Schon in wenigen Jahren werden wir in unseren Fahrzeugen wesentlich fortschrittlichere Funktionen sehen, wie etwa immersive Navigation (immersive View), Crowdsourced Maps, V2X-Koordination (Vehicle-to-Everything, siehe Infobox) – und irgendwann auch vollständig autonomes Fahren auf Level 5. Wahrnehmungsbasierte Sensoren und relative Positionierung werden auch künftig in Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Kooperative intelligente Verkehrssysteme (Cooperative Intelligent Transport Systems, C-ITS) erfordern jedoch eine präzise absolute Positionierung, um Redundanz, Sicherheit und hohe Verfügbarkeit unter schwierigen Fahrbedingungen zu gewährleisten.

Was ist der Unterschied zwischen C-ITS und V2X?

Mit C-ITS (Cooperative Intelligent Transport Systems) ist allgemein der sichere und zuverlässige Datenaustausch zwischen Verkehrsteilnehmern gemeint. Die dafür nötige Funkkommunikation zwischen Fahrzeugen untereinander (Vehicle-to-Vehicle, V2V), mit der Straßeninfrastruktur wie etwa Ampeln (Vehicle-to-Infrastructure, V2I), mit Fußgängern (Vehicle-to-Pedestrians, V2P) sowie mit externen Datennetzen (Vehicle-to-Network, V2N) wird unter dem Begriff V2X (Vehicle-to-Everything) zusammengefasst. Mittlerweile zählen auch Begriffe wie Vehicle-to-Cloud (V2C), Vehicle-to-Device (V2D) für Geräte, Vehicle-to-Grid (V2G) für Stromnetze oder Vehicle-to-Building (V2B) für Gebäude dazu.


 

Genauigkeit im Zentimeterbereich für sicheres autonomes Fahren

Die Anforderungen an die Genauigkeit der Lokalisierung für autonome Fahrzeuge variieren je nach Branche und Anwendungsfall. Nehmen wir einen autonomen Traktor, der auf einem Feld Blaubeeren erntet: Eine Abweichung von nur wenigen Zentimetern könnte die Ernte zerstören und dem Landwirt große Ertragseinbußen bescheren.

Bei Autos und Lkw ist zwar nicht dieselbe Genauigkeit wie auf dem Feld erforderlich. Eine typische Autobahnspur ist 3,50 Meter breit und ein Auto im Schnitt zwei Meter. Eine Genauigkeit von einem Meter reicht also theoretisch, um sicherzustellen, dass sich das Fahrzeug auf der richtigen Spur befindet. Im Gegensatz zu autonomen Traktoren legen Autos und Lastwagen jedoch weite Strecken zurück und treffen immer wieder auf schwierige und unvorhersehbare Umgebungen.


 

Ältere GNSS-Positionierungslösungen sind daher für künftige Anforderungen in der Automobilindustrie nicht mehr ausreichend. Moderne Fahrzeuge brauchen eine zentimetergenaue Positionierung, die einfach funktioniert – überall und immer. Was Lösungen zur Positionsbestimmung liefern müssen:

  • Zuverlässige Genauigkeit: Präzision auf Fahrspur-Level, schnelle Konvergenz, einheitliche Abdeckung und eine Ausfallsicherheit auf Netzbetreiberniveau (carrier-grade) sind unverzichtbar.
  • Garantierte Sicherheit: Die Einhaltung der ASIL-Normen für Sicherheit und Integrität ist notwendig, um Vertrauen in das autonome System zu schaffen und die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.
  • Flexibles Design: Die Kompatibilität mit Standard-Hardware, Fahrzeugantennen und sowohl älteren als auch neuen Rechnerarchitekturen ermöglichen es OEMs, Precise Positioning ohne Auswirkungen auf Budgets oder Entwicklungszyklen zu nutzen.

Erprobung von Precise Positioning auf Europa-Tour

Das kalifornische Unternehmen Swift Navigation (siehe auch Infobox „Wie Precise Positioning funktioniert“) hat sich mit der Deutschen Telekom zusammengetan, um die gemeinsame Lösung zur präzisen Positionsbestimmung auf einer 2.000 km langen Testfahrt quer durch Europa zu testen (hier geht’s zum Reisebericht). Die Fahrt führte unter verschiedensten Fahrbedingungen durch Deutschland, die Schweiz, Italien, Frankreich und Spanien. Darunter dichte Stadtgebiete, von Bäumen gesäumte Autobahnen, die Alpen und ihr Tunnelnetz. Dabei haben unsere Experten die Genauigkeit der von einem Standard-GNSS-System abgeleiteten Positionierung mit der von Swift korrigierten Positionierung verglichen.

Das Testfahrzeug war mit zwei parallelen GNSS-Systemen ausgestattet: eine für Vermessungszwecke geeignete GNSS-Antenne als Referenz sowie eine Dual-Band-GNSS-Plattform, die sowohl die korrigierte als auch die unkorrigierte Position ausgeben kann. Beide Systeme wurden durch ein Trägheitsmessgerät und die sogenannte Rad-Odometrie zur Lageschätzung unterstützt. Die Referenzantenne hat eine Internetverbindung über einen LTE-Router mit IoT-SIM-Karte der Telekom hergestellt, um sich mit den Swift-Servern verbinden zu können.

Impressionen der Precise Positioning Europa-Tour

Precise Positioning verbessert die Genauigkeit im Vergleich zu Standard-GNSS

Anmerkung: Die folgenden Genauigkeitswerte beziehen sich jeweils auf jene Messung, die auf 95 Prozent der Daten basiert (95 Perzentil / 2-Sigma).

Während der gesamten Fahrt lag die Genauigkeit der Precise-Positioning-Lösung bei 34 cm (bei 95 %), verglichen mit 82 cm, die mit Standard-GNSS erreicht wurden. Angesichts der Genauigkeitsanforderungen von etwa einem Meter im Automobilbereich mag es so aussehen, als sei Standard-GNSS gut genug – warum sich also mit Korrekturen abmühen? Es gibt allerdings zwei wichtige Gründe, eine höhere Genauigkeit anzustreben:

1. Eine Genauigkeit von 95 % bedeutet, dass die Positionierung in 5 % der Fälle weniger genau ist. Auf dem Weg zu vollständig autonomen Fahrzeugen müssen wir das Vertrauen in die Genauigkeit der Position erhöhen, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Eine Genauigkeit – oder besser gesagt: Ungenauigkeit – von 82 Zentimetern lässt nicht viel Spielraum für Korrekturen.

2. Die Gesamtgenauigkeit sagt nichts darüber aus, wie das System in den schwierigsten Umgebungen funktioniert. Assistiertes und autonomes Fahren muss überall sicher sein, nicht nur unter ungehinderten Bedingungen bei freiem Himmel.

Infografik: Full Drive Precision im Vergleich

Betrachten wir vier Umgebungen näher, in denen Precise Positioning wirklich auf die Probe gestellt wird:

  • Häuserschluchten, wo Signale durch Gebäude blockiert werden und sogenannte Mehrwegfehler wie Spiegelungen oder Streuungen eine Herausforderung darstellen
  • Tunnelausgänge, wo man sich auf die Koppelnavigation (siehe weiter unten) verlassen muss, bis das Satellitensignal wiederhergestellt ist
  • Mehrspurige Straßen, bei denen das Fahrzeug sicher sein muss, in welcher Spur es sich befindet
  • Berge, die oft das Satellitensignal beeinflussen

Häuserschluchten

In Straßenschluchten prallen Satellitensignale oft an Gebäuden ab, bevor sie den Empfänger erreichen, was zu fehlerhaften Messwerten führt. Hier zeigte das Standard-GNSS eine Abweichung von 101 cm und lag damit knapp unter der erforderlichen Genauigkeit für fortgeschrittene Anwendungsfälle im Automobilbereich. Im Vergleich dazu lieferte Precise Positioning eine Genauigkeit von 27 cm und erfüllte damit problemlos die Anforderungen der Automobilindustrie.

Städtische Gebiete sind zudem eine der sicherheitskritischsten Umgebungen für assistiertes Fahren und autonome Fahrzeuge. Dichter Verkehr, schmale Fahrspuren, Radfahrer und Fußgänger erschweren die sichere Navigation in Städten, selbst ohne die zusätzlichen Herausforderungen durch blockierte GNSS-Signale und Mehrwegfehler. Die Ergebnisse von Fahrtests wie diesem zeigen, wie wichtig GNSS-Korrekturen für den sicheren Betrieb von Fahrzeugen in diesen dicht besiedelten Gebieten sind.

Infografik: Urban Canyon Precision im Vergleich

Tunnel

Die Ergebnisse für Tunnelausfahrten waren ebenfalls überzeugend. Wenn ein Fahrzeug in einen Tunnel einfährt, verliert es die Spur der Satelliten und kann daher keine aussagekräftige Positionsbestimmung vornehmen. Das ist der Grund, weshalb sich die Position auf unserem Navigationssystem oder Smartphone manchmal nicht ändert, wenn wir durch einen Tunnel fahren. Anspruchsvollere Systeme verwenden eine Methode, die als Koppelnavigation (Dead Reckoning) bezeichnet wird: Die aktuelle Position eines Objekts wird anhand seiner letzten bekannten Position, der zurückgelegten Strecke und der Kursrichtung geschätzt. Das Problem: Der Fehler ist kumulativ und wird mit zunehmender Entfernung in einer GNSS-freien Umgebung wie einem Tunnel immer größer.

Standard-GNSS erreichte nur eine Genauigkeit von 391 cm und erwies sich damit als völlig unzuverlässige Lösung. Es ist wichtig, diesen Positionierungsfehler schnell zu korrigieren, sobald das Fahrzeug aus dem Tunnel herausfährt. Hier kann Precise Positioning die Zeit, die für die Wiedererfassung einer GNSS-Position benötigt wird, erheblich reduzieren. Unsere Tests haben gezeigt, dass sich die Genauigkeit dank der schnellen Neukonvergenz mit Precise Positioning von fast vier Metern auf 86 cm verbessert hat.

Infografik: Tunnels Precision im Vergleich

Mehrspurige Straßen

Für Level 2+ ADAS ist ein hohes Maß an Präzision bei der Navigation auf mehrspurigen Straßen erforderlich. Für Situationen wie etwa vor einer Mautstation oder bei gesperrten Fahrspuren muss das Auto sehr genau wissen, auf welcher Spur es sich befindet, um sich selbst der Fahrspur zuzuordnen und den Ampelstatus zu bestimmen. Hier haben die Precise-Positioning-Korrekturen die Genauigkeit von 111 cm auf nur noch 39 cm verbessert.

Infografik: Toll Plaza Precision im Vergleich

Berge und Täler

Gebirge stellen ein GNSS-System vor verschiedene Herausforderungen, wie zum Beispiel eine eingeschränkte Satellitensichtbarkeit, lokale atmosphärische Störungen und Signalblockaden. In diesen Regionen ist auch die Mobilfunkabdeckung oft eingeschränkt, da die Mobilfunksignale auf ähnliche Probleme stoßen. Glücklicherweise konnten sich die IoT-SIM-Karten im Testfahrzeug auf das ausgedehnte Netz der Telekom und mindestens zwei Roaming-Partnernetze pro Land verlassen. So war eine konsistente Mobilfunkverbindung entlang der gesamten 355 Kilometer langen Strecke durch die Täler und Tunnel der Alpen gewährleistet. Dadurch wurde zudem sichergestellt, dass Precise-Positioning-Korrekturen auch beim Überqueren von Landesgrenzen empfangen wurden. Das System behielt eine hohe Genauigkeit von 26 cm, was einer 2,5-fachen Verbesserung gegenüber der unkorrigierten Version entspricht.

Infografik: Mountains Precision im Vergleich

Fazit

In dem von der Deutschen Telekom und Swift Navigation gemeinsam durchgeführten umfangreichen Fahrversuch wurde die Leistung der Precise-Positioning-Lösung in verschiedenen anspruchsvollen Umgebungen über mehr als 2.000 Kilometer und fünf Länder hinweg bewertet. Ob bei der Navigation in Häuserschluchten und Tunneln, auf mehrspurigen Straßen oder in bergigem Terrain – das System übertraf durchweg die Leistung herkömmlicher GNSS-Systeme und erreichte ein beeindruckendes Maß an Genauigkeit. Precise Positioning wird damit den Ansprüchen der sich rasant entwickelnden Automobilindustrie gerecht, in der Sicherheit und Zuverlässigkeit von größter Bedeutung sind.

Eine weitere Erkenntnis: Die durchgängig zuverlässige Verbindung des Systems zum Mobilfunknetz unterstreicht den Anspruch der Telekom: Wo auch immer unsere Kunden tätig sind, bieten wir eine hervorragende globale IoT-Abdeckung – und treiben so die Konnektivität von morgen voran.

Die Ergebnisse der Testfahrt werden wir demnächst in einer ausführlichen Studie vorstellen.


 

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Ümit Günes
Ümit Günes

IoT Marketing Manager

Seit 2008 ist Ümit bei der Telekom tätig und verfügt über umfassendes Wissen in vielen Bereichen des Internet of Things. Sein besonderes Interesse gilt der Digitalisierung des Geschäftskunden. In diesem Blog teilt er aktuelle Entwicklungen und Trends aus der IoT-Welt, die für Kunden echten Mehrwert bieten.